Eigentlich war alles in bester Ordnung auf dem Flug LH 502
FRAEZE, so wie immer, und so wie immer wurde ich von dieser merkwürdigen
Melancholie erfasst. Wer kam auf die Idee, in einem so hochtechnischem Gerät
wie einem Flugzeug eine Rose unterzubringen?
„… nur Helios vermag´s
zu sagen, der alles Irdische bescheint“, sagt der Dichter Friedrich Schiller in den Kranichen des Ibikus. „…nur Helios…“, der zufällig auch den Kranich der LH ins
richtige Licht rückt? Nein, es gibt keine Zufälle. Die Rose als Inbegriff
romantischer Empfindungen, oder noch weiter zurück, als Symbol der Liebe. „Nie soll weiter sich in Land Lieb
von Liebe wagen, als sich blühend in der Hand lässt die Rose tragen“ heißt es
im einem deutschen Minnelied. Dieses Problem wurde für die Gäste der First
vorausschauend gelöst. Biology
meets technology. Die Rose kommt in ein Reagenzglas mit ausreichend
Wasser und das System wird mit Plastikkappe dicht geschlossen. Vermutlich
enthält das Rosenwasser noch Chemikalien zur Verhinderung von Keimwachstum,
hygienisch einwandfrei und von der Gesundheitsbehörde zertifiziert.
Die Rose lässt sich somit blühend zu allen Destination der LH tragen und
vermutlich auch wieder zurück – fall das der Frequentflyer
bzw. Frequentlover für erforderlich hält.. Mein
technischer Verstand ist mit dieser Lösung dennoch nicht zufriedengestellt:
Rosenstiele im Wasser? Total obsolet. Ich würde Polyacrylathydrogel
nehmen angereichert mit allem, was das hochgezüchtete – vermutlich genetisch
manipulierte – Gewächs braucht.
Das ergibt den richtigen Turgor
in Blatt und Blüte, supplementiert den Metabolismus
der Pflanze und schwappt nicht über, ist sicher auch wiederverwendbar, also recylefähig. Man müsste es mal systematisch untersuchen…..
Wie abwegig sind diese Überlegungen: A rose is a rose
is a rose, ein wunderbares Wesen mit allen Zeichen
des Lebens, mit Atmung und Stoffwechsel, Wachstum und Vergänglichkeit, Nehmen
und Geben. Vielleicht hat die Rose auch so etwas wie eine Seele, wie das
Würmchen in Kloppstocks
„Frühlingsfeier“. Nur etwas
Beseeltes kann Empfindungen hervorbringen und übertragen. Sonst wäre kaum
jemand auf die Idee gekommen, die Gäste der First mit lebenden Rosen zu
beglücken, wo es doch an künstlichem Ersatz nicht mangelt . So ist es auch vom unbekannten erfinderischen
Genius gemeint. Doch welch ein Abbruch oder besser Stielbruch in der
Ausführung: Wenn schon echte Rosen, dann bitte in schlanken Porzellanvasen,
z.B. Höchst (wegen der Nähe zu FRA) . Das muss doch im
Flugpreis noch drin sein, und das mehr an Gewicht wird mit Einsparungen bei den
Illustrierten und Zeitschriften kompensiert, sonst lieber keine Rosen.
Nostalgie kommt auf, Erinnerungen an die späten 50iger Jahre in Deutschland:
die Porzellanvase am Armaturenbrett des
DKW 3=6 meines Vaters. Es könnte alles so einfach sein, ist es leider
nicht. Selbst eine Porzellanvase mit Rose im hump der
747 mit deren an Industriearchitektur erinnernden Innenauskleidung aus
Wellblech, uni-blauem Velour-Fussboden, cremefarbenen Plastikpanelen und Kunstlicht
schafft meiner Ästhetik Probleme. Vielleicht könnte Wurzelholz-Fournier statt Wellblech retten. Ich kann es jetzt
nicht lösen. Also konzentriere ich mich auf die Realität, die Rose vor mir,
eingedübelt im Korpus der Armlehne, meine Rose, mein Symbol des Lebens und der
Liebe, und ich verbünde mich mit ihr. Da rollt der Serviertrolley beladen mit Köstlichkeiten an mir vorbei, und – wen wundert´s
bei der Fülle – in einer leichten Turbulenz geht ein Tablett zu eben jenem
uni-blauen Velour-Fussboden. Im freien Fall streift
es wie zufällig meine Rose und knickt, nein schlimmer, bricht sie. Zum Glück
bin ich nicht abergläubig…. Mitleid
erfasst mich mit der so rasch verlorenen Gedankenfreundin, mit ihrem aus menschlicher
Sicht so tragischen Schicksal . „So muss ich hier verlassen sterben, auf
fremdem Boden unbeweint…“ Abermals wird nur Schiller der Situation sprachlich
wirklich gerecht: Na ja „unbeweint“
stimmt nicht so ganz.. Nun, ich werde bei diesem Flug in die Nacht schon über
den Verlust hinwegkommen und suche den „Waschraum“ auf, um mir den Van Laak-Schlafanzug überzustreifen, da bricht mir das Herz:
eine Rose in diesem völlig unromantischen Kabinett mit Gummisauger festgehalten
am Spiegel, bedauernswert wie ein Singvogel auf der Leimrute,
unfreiwillig Zeugin menschlicher Blöße und Notdurft. Ich habe im normalen Leben
schon Probleme mit der Klofrau und vergreife mich meistens aus Mitleid mit dem
„non olet“. Deren Job endet irgendwann. Dann geht sie
nach Hause und ist Mensch, kann ihrer Bestimmung leben. Diesen Gedanken
versuche ich auf das mitleiderregende Dasein dort am Spiegel zu übertragen. Es
klapp nicht. Es scheitert schon alleine daran, dass die Rose am Ende des Fluges
nicht aus dem Waschraum entlassen sondern „entsorgt“ wird (das Unwort des
Jahrhunderts schlechthin). Die Befreiung aus dieser Notlage ist immer auch mit existenzieller Vernichtung
verbunden. Lebenslänglich so zu sagen. Ich beginne zu rechnen : zwei Waschräume
in der First dieses Fliegers, also zwei Klorosen, hochgerechnet auf die gesamte
Flotte… nein, das halte ich nicht aus. Ich verfalle aus Mitgefühl mit dieser
Klorose und mit den Klorosen der ganzen Welt
in eine tiefe Melancholie. Obwohl
sonst prinzipiell keine harten Drinks, jetzt brauche ich einen Cognac.
Auf dem Rückflug bringt man bei der Zwischenlandung in Sao
Paulo ein Strauss Rosen an Bord. Welch ein erhabener Anblick das vereinigte Rot der Rosen auf dem
weißgedeckten Servierschrank rechts unter Exit, die
Reagenzgläser weggezaubert durch eine geschickt drapierte Stoffserviette und
zwischen den Stoffbahnen der Silberglanz des Metallständers. Oh glückliche Hand
der Purserin. Das ewig Weibliche hat es wieder
gerichtet. Der farbliche Dreiklang erfreut meine Sinne und schließt Frieden mit
dem Uni-Blau des Fußbodenbelages. Zurück auf Reiseflughöhe genieße ich das
Abendessen in rosengesäumten Ambiente. Ob ich mich danach in den Waschraum
wagen kann?