Leserbrief zu: „Schönheit hat ihren Preis“, Deutsches Ärzteblatt Jg. 108, Heft 26, 1.Juli 2011, Seite 1234-1238
Heuchelei und argumentatives Herumeiern sind typisch für das Thema „Schönheitschirurgie, wie die Autoren und deren Interviewpartner unter Beweis stellen. Formal handelt es sich bei dem Beitrag nolens volens um ein Lehrstück für Priorisierung in der Medizin mit Beifallskundgebungen breiter Bevölkerungsschichten einschließlich der Standesvertreter und der Kirchen. Am Anfang steht die Verbreitung einer Irrlehre: hier die in der Biologie unzulässige Polarisierung der Begriffe Schönheit und Gesundheit. In Bezug auf einen Bioorganismus ist gesund auch stets schön und umgekehrt. Wortschöpfungen wie „Schönheitschirurgie“, „Ästhetische Chirurgie“ etc., mit welchen später die Leistungsausgrenzung begründet wird, sind absichtlich unpräzise. Mit Begriffen dieser Art werden keine neuen Entitäten geschaffen. Sie dienen Fachgebietsfremden zur Vortäuschung falscher Tatsachen oder Berufsverbänden zur Begründung von Alleinvertretungsansprüchen. „Schönheitsoperationen“ werden in allen operativen Fächern durchgeführt. Man werfe einen Blick auf die unverdächtige Orthopädie. Bei allen Leistungen der „Ästhetischen Medizin“ handelt es sich stets um ärztliche Heilkunst und nicht etwa um Dienstleistungen wie in der Kosmetik. Daher ist die ärztliche Approbation gefordert. Es wird richtig festgestellt, dass ärztliche Leistungen einer medizinischen Indikation bedürfen. In einer verfassten Ordnung braucht es dazu einer legalen Definition für Gesundheit, und diese hat die Weltgesundheitsorganisation im Jahre 1946 beschlossen und verkündet (1). Damit fällt ein Großteil so genannter „Schönheitsoperationen“ in das Spektrum medizinisch indizierter Behandlungen. Obgleich Mitglied der UNO, hat Deutschland diese Definition nicht übernommen. Faktisch entscheidet hierzulande der Sachbearbeiter, was „gesund“ ist und bezahlt wird. Bis Ende der 80iger Jahre wurden von den Krankenkassen regelmäßig Leistungen der heutigen Kategorie Ästhetik, z.B. bei psychischem Leiden, übernommen. Die Wende leitete das Bundessozialgerichts mit einem Urteilt 1993 (Az: 1 RK 14/92) ein, wonach psychisches Leid infolge empfundener körperlicher Mängel nicht chirurgisch sondern psychotherapeutisch zu behandeln sei. Eingedenk dessen möge jemand nachvollziehbar erklären, weshalb Frauen nach chirurgisch erfolgreicher Therapie eines Mammakarzinoms nach wie vor eine operative ästhetische Wiederherstellung als Kassenleistung beanspruchen können. Man erkennt hier die Willkür bei der Interpretation von Urteilen bzw. bei der Definition von Gesundheit, welche sich auf Entscheidungen bei der Kostenübernahme überträgt. Eingesparte Mittel können anderweitig, z.B. für Werbung, ausgeben werden. Das ist Priorisierung: Werbung vor Versorgung. Die so genannten Leistungserbringer kommen dabei unterm Strich gut weg. Wie im Beitrag geschildert erhielten sie neue finanzielle Freiräume und haben diese geschäftsmäßig gestaltet einschließlich der IGEL. Der Schluss, dass in einem gewinnorientiertem System die Medizin auf der Strecke bliebe, ist unbewiesen, die Zurechnung eines ursächlich nicht geklärten Todesfalles ist unseriös. Auch der Begriff „Verbraucherschutz“ ist a priori fehl am Platz und weist auf Defizite im Verständnis der Materie hin. Im Resultat lässt der Beitrag eine aus ideologischen Zwängen heraus entstandene, parallele Gesundheitswelt erkennen als Ersatzvornahme in einem teilweise zweckentfremdeten, solidarisch finanzierten Gesundheitssystem.
(1) Health is a state of complete physical, mental, and social well-being, and not merely the absence of disease or infirmity.
J.Reinmüller, Chirurg, Plastischer Chirurg