Dtsch Arztebl 2009; 106(8): A-340 / B-292 / C-284
Wild, Verina; Poulin, Hinda; Biller-Andorno, Nikola
17.03.2009
Die Autorinnen streifen in ihrem Artikel das ethische Problem nur tangential. Wenn die Rehymenisierung eine ethische Dimension besitzt, dann doch die der Wahrhaftigkeit. Vorgabe falscher Tatsachen als Grundlage für ein Ehebündnis, allerdings mit vertauschten Geschlechterrollen, ist hierzulande bekannt aus dem Nibelungenlied: Gunther verschafft sich mit Hilfe Siegfrieds den Zugang zum Ehebett der Brunhilde mit der bekannte desaströsen Entwicklung als Folge des Betrugs bzw. des ethischen Versagens. Nach unseren rechtlichen und wohl auch ethischen Normen ist der Helfer beim Betrug nicht anders zu bewerten als der Täter. Also ist der helfende Arzt bei der Wiederherstellung des Hymens als Zeichen der Jungfräulichkeit zum Schein der Helfer des Betrügers. So einfach könnte das Urteil vom ethischen Standpunkt aus lauten, gäbe es da nicht noch einen anderen Aspekt, der im Artikel mit der Wortschöpfung „Geschlechterungerechtigkeit“ anklingt. Als Rechtfertigungsgrund für Betrug ist dieser Begriff zu schwach und wäre besser durch die Bezeichnung „Krieg der Geschlechter“ zu ersetzen. Damit wird nämlich die gewaltsame Unterdrückung der Frau bis hin zur existenziellen Bedrohung durch die archaische Verhaltensweise des Mannes in den angesprochenen „Kulturkreisen“ zum Ausdruck gebracht, und der Krieg rechtfertigt eben die Kriegslist. Wollten die Verfasserinnen des Artikels so weit gehen? Wenn nicht bleibt es vom ethischen Standpunkt aus bei Grillparzers „Weh dem der lügt“.