27 November 2018: „„Implant files“ zur Sicherheit von Brustimplantaten:

Der Kampf für mehr Patientensicherheit“ (DGPRÄC-Pressemitteilung)

Johannes Reinmüller

Da reden sich gerade alle die Köpfe heiß. Jeder will dabei gewesen sein, wenn ein verpflichtendes Implantat-Register eingeführt wird, um die Sicherheit der Brustimplantate zu verbessern und um unsere Frauen besser zu schützen, eine Art Waffenregister, das den Waffenbesitzer vor der Waffe schützt.

Welch ein fragwürdiges Unterfangen: ein Register für operative Eingriffe, bei denen die Implantation von neuen, ausnahmslos intakten Silikon-Implantaten erfasst werden soll. Mehr zunächst nicht! Dabei müsste man nur die Vorgänge beim so genannten PIP-Skandal rekapitulieren. Nachdem 2010 die „Bild-Zeitung“ glaubte, „Gift im Busen“ feststellen zu müssen, fand zwei Jahre später die Europäischen Behörde SCENIHR dies nicht bestätigt und gab Entwarnung. Was war hier geschehen? SCENIHR hatte die noch jungfräulichen Implantate aus dem Lager der PIP Company untersucht und damit die Unschuldsvermutung bestätigt. Dennoch schlage ich mich auf die Seite der „Bild-Zeitung“ und vermute nach wie vor, dass die Schlagzeile zutreffend gewählt wurde. Es wurde von SCENIHR versäumt, explantierte PIP-Implantate zu untersuchen und diese mit Explantaten von so genannten Premium-Produkten zu vergleichen. Man kann heute abschätzen, dass sich die Ergebnisse der beiden Gruppen nicht unterschieden hätten.

Vermutlich hätten die Experten von SCENIHR 2010 nicht einmal gewusst, wie und was sie sonst an Explantaten hätten untersuchen können. Zu dieser Zeit gab es nur wenige Veröffentlichungen zu Veränderungen, die Silikon als Biomaterial im Organismus erleidet und kaum validierte Verfahren zum Nachweis und zur Messung dieser Veränderungen. Selbst Ende 2018 findet man in einer überwiegend fachfremden Literatur nur wenige  aussagefähige Arbeiten. Trägt man jedoch diese zusammen, dann wird klar: Silikon-Implantate erleiden nach der Implantation in den Bioorganismus fortwährend Veränderungen chemischer und physikalischen Art und werden damit zu aktiven Implantaten. Das einst am Tage Null unschuldige Implantat wird im Laufe der Zeit zum Risikoprodukt.

Dies wurde uns schon einmal drastisch vor Augen geführt bei Einführung der zunächst als biologisch angepriesenen Trilucent-Implantate mit Sojaöl-Füller in den frühen 90igern. Im Biochemie-Kurs, 4. Semester Medizin Vorklinik, habe ich gelernt, dass Triglyceride mit ungesättigten Fettsäureresten, eben Öle, durch Sauerstoff oxidiert werden. Der Laie sagt: sie werden ranzig. Ranzprodukte sind eben bekannt als toxisch. Was der Laie nicht weiß: die Silikonelastomer-Hülle ist durchlässig für Sauerstoff.  Somit bestand von Beginn an Klarheit: das Trilucent-Implantat wird bzw. wurde nach der Implantation ins lebende Gewebe aktiv und setzt bzw. setzte Toxine frei. Ich habe deshalb niemals ein Trilucent-Implantat verwendet. Wer hat solchen Unsinn überhaupt zugelassen?

Implantate mit Silikongel-Füller unterscheiden sich von diesem Verhalten nicht grundsätzlich. Nicht nur die äußere Hülle sondern insbesondere die Masse an Gel im Innern sind Speicher für Biomoleküle und Umweltgifte wie DDT und PCBs. Wie sich diese während der Laufzeit verändern, ist nicht erforscht. Man weiß, dass z.B. ungesättigte Fettsäuren mit zu den Ingredienzien gehören. Man weiß, dass der Platin-Katalysator aus der Gel-Erzeugung in Innern verbleibt. Man weiß auch, dass Silikongel aus explantierten Prothesen das Wachstum in Zellkulturen verändert. Stichwort: „endocrine disruption“, ein Beweis für die biologische Aktivität.

Immerhin lassen Statistiken mit großen Teilnehmerzahlen erkennen, dass – zumindest in einem Zeitraum der Größenordnung Jahre – bei ca. 90% der Trägerinnen keine ernsthaften Gesundheitsstörungen auftreten – lokale mechanischen Komplikationen ausgenommen. Die restlichen 10% leiden an Symptomen, die zusammengefasst werden unter Begriffen wie adjuvant disease,  BII, ASIA, SIIS. Alle Erklärungsversuche hierfür sind bisher gescheitert. Hilfsweise versucht man die Erklärung mit dem Schlagwort Biofilm, das eine chronische Besiedlung der Implantat-Oberflächen mit Bakterien beschreibt. Man ignoriert die Differenzen der bakteriologischen Befunde bei strukturierten und glatten Oberflächen und preist im gleichen Atemzug die Vorteile der Texturierung in Bezug auf die Kapselfibrose.  Kurz: Bakterienfilme sind an allem schuld inclusive Ralstonia pickettii  bei BIA-ALCL. Deshalb werden inzwischen von namhaften Institutionen umfangreiche Vorgaben veröffentlicht, wie der Biofilm-Entwicklung entgegenzutreten sei. Weiter so.

Doch wer denkt schon an bakterielles Wachstum im Innern der Implantate, also dort wo unsere Asepsis nicht greift. Biologisches Wachstum von Bakterien und Pilzen kennt man von Implantaten mit saliner Füllung. Biologisches Wachstum im Innern von Silikongel-gefüllten Implantaten hält man aus welchen Gründen auch immer für unmöglich. Und dennoch gibt es Beobachtungen, die das Wachstum von Bakterien in den Gelen mit Bildung und letztlich auch Freisetzung von toxischen Substanzen nahelegen. Dies könnte dann eine zweite unabhängige Ursache für die Entwicklung von biochemischen Aktivitäten von Implantaten nach dem Einsetzen sein. Wir leben in einem Zeitalter, in dem man ständig neue Lebensformen mit spektakulären Eigenschaften entdeckt, tief im Innern der Erde, in heißen Quellen, auf dem Mars wird zurzeit  danach gesucht, warum nicht auch im Silikon. Eines wird daraus ersichtlich: die übliche „Sterilisation“ der Silikonimplantate mit trockener Hitze bei 100 °C ist illusorisch, und der Referenzkeim Bazillus stearothermophilus bleibt ein Surrogat, insbesondere da es gelingt, Tomaten-DNA bei 160 °C mithilfe von Silikongel zu stabilisieren.

Kurzum, nicht die Silikonimplantate aus dem Regal des Herstellers sind für die Beurteilung der Implantat-Sicherheit relevant sondern die gebrauchten Produkte. Wenn man schon unter Vorgabe ethischer Pflichten ein Implantat-Register fordert, dann doch bitte eins für die entfernten Implantate. Die Daten der Implantation und hoffentlich auch die neuere Krankengeschichte der Patienten werden dabei automatisch mitgeliefert. In kritischen Fällen kann dann der Inhalt des Implantates mittels Gaschromatographie (GC) und Massenspektrometrie (MS) analysiert werden mit der gleichen Begeisterung, mit der man bakteriologische Untersuchungen an der Implantat-Oberfläche betreibt.  Der Statistiker freut sich endlich über harte Fakten.

Was hat das alles mit Implant Files von 27. November 2018 und der DGPRÄC-Pressemitteilung zu tun? Dazu fällt mir eine spezielle Fragestellung bei multiple-choice-Fragen ein. Meine Antwort hier: Teil A richtig, Teil B richtig, Verknüpfung falsch. Meine ersten Beobachtungen zur Unsicherheit von Silikonimplantaten habe ich bereits 2003 dem Hersteller, einem Vorläufer von Allergan, berichtet. Es folgten weitere Mitteilungen an verschiedene Hersteller, das BfArM, die FDA, an das ansm und an ISAPS – bisher ohne Resonanz. Die Einreichung von Publikationen bei HaMiPla und ASJ wurden mit trivialen Begründungen zurückgewiesen. Bei meinem Vortrag im September 2018 in Bochum wurde die Diskussion vom Vorsitzenden verhindert. Für die Präsentation des Themas bei der ISAPS in Miami im November 2018 hat man mir die Besenkammer zugewiesen. Das MD Anderson Cancer Center mit der Lufthoheit beim Thema BIA-ALCL antwortet mir nicht.  Das sieht nun kaum nach „Kampf“ für mehr Patientensicherheit aus. Gemeint ist wohl der eher eigennützige Kampf gegen einen neuen Silikon-Skandal bzw. silicone ban. Selbst wenn es die betroffenen Kreise der Ärzteschaft im Gegensatz zur Industrie nicht besser wissen, sie ahnen und fürchten die Erkenntnis: Silikongel ist ein kritisches Biomaterial. Diese Feststellung blieb bislang ohne Konsequenz für die Anwender und die Hersteller, die mit demselben „mürben“ Teig immer nur nach den alten Rezepten Brötchen backen wollen.

Wiesbaden, den 16.12.2018

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