Leserbrief an DÄ betreffend Themen der Zeit , Seite 1234, vom 22. Juli 2013

Dem Kommentator geht es um Gleichheit bei der Erlangung medizinischer Versorgung. Als Arzt ist er wohl tätig in einem System, welches sich bewusst  als solidarisch bezeichnet. Es ist sogar naheliegend, dass er sich vertraglich an das solidarische deutsche Gesundheitssystem gebunden hat.

Solidarität ist ein missbräuchlich verwendeter Begriff aus der marxistisch-kommunistischen Ideologie und nicht identisch mit den Forderungen der französischen Revolution von Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit. Solidarität funktioniert immer nur vertikal und zwar aufsteigend immer dann, wenn Opfer verlangt werden. Bei der Verteilung nach unten gibt es im besten Falle Priorisierung,  im schlimmsten Falle Privilegierung. Solidarische Systeme verfolgen gerade nicht die Gleichheit der einzelnen Mitglieder sondern ausschließlich den Erfolg des Systems. Hierin liegt der grundlegende Irrtum des Kommentators bei der Beurteilung der geschilderten Vorgänge. Wie im Ameisenstaat sind die systemrelevanten Mitglieder privilegiert. So hat es der Autor auch direkt wahrgenommen. Damit ist aber nicht etwa eine Staatskrise nachgewiesen sondern zunächst der Erfolg des solidarischen Gesundheitssystems.

Nun hat die Medizin auch eine ökonomische Perspektive und aus dieser ist die Frage zu stellen, warum nicht ein Patient, der schnellst möglich zu seinem Arbeitsplatz drängt, weil für die Erhaltung des Systems (und all jener in der Notambulanz) relevant, zeitlich bevorzugt behandelt werden darf, wo doch den Schilderungen nach davon auszugehen ist, dass ein Großteil jener Elenden im Wartebereich den Kriegsschauplatz mit einer Arbeitsunfähigkeitbescheinigung wieder verlassen wird.

Angst und Bange macht eher die Darstellung der Notambulanz, weil sie, sofern zutreffend, schwerwiegende organisatorische und hygienische Mängel beschreibt. Weiter unterstellt, die Zustände dort seien originalgetreu wiedergegeben, so wäre vordringlich eine Triage durchzuführen, angelehnt an das zitierte Weltkriegsszenario, und damit wäre die Gleichbehandlung, etwa nach dem  Zeitpunkt des Eintreffens, eo ipso perdu. Unverständlich bleibt, weshalb sich der Kommentator schließlich gegen seine Überzeugung auf Weisung von oben „korrumpieren“ ließ. Wenn überhaupt, so beginnt hiermit das zu beklagende Elend des Staates.

Leider schweigt der Autor zum Versicherten-Status jener geheimnisvolle Allegorie der Justitia oder besser der Arroganz, die bevorzugte Behandlung beanspruchte. Was spricht gegen solidarisch? Beamtenprivilegien!

Dr. Johannes Reinmüller
Chirurg, Plastischer Chirurg

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